Funde aus einer Genisa

Im Zuge der Restaurierung wurden im Jahr 1983 unter den Brettern des Dachbodens der Hechinger Synagoge Gegenstände entdeckt, die aus einer ehemaligen Genisa stammen.

Aus der Genisa: Blätter aus dem Fabelbuch "Meshal ha-kadmoni" in judendeutscher Sprache, Ausstellung Synagoge Hechingen, Foto: Manuel Werner
Aus der Genisa: Blätter aus dem Fabelbuch "Meshal ha-kadmoni" in judendeutscher Sprache, Ausstellung Synagoge Hechingen
Aus der Genisa: Ein Engel zeigt Hagar (הגר) - dieser Name steht am Beginn der 2. Zeile unter dem Bild - und Ismael die rettende Quelle, Ausstellung Synagoge Hechingen, Foto: Manuel Werner
Aus der Genisa: Ein Engel zeigt Hagar (הגר) und Ismael die rettende Quelle, Ausstellung Synagoge Hechingen, Fotos: M.Werner

Was ist eine Genisa?

 

Der frühere Landesrabbiner der IRGW Dr. Joel Berger hierzu:

 

"Das Wort Genisa entstammt der hebräischen Wortwurzel „gns“, was „versteckt“, „das Versteckte“ bedeutet. Ab dem Mittelalter wurde „Genisa“ als Substantiv die Bezeichnung für einen Ort, an dem abgenutzte Handschriften und Bücher aufbewahrt wurden. Wegen der besonderen Hochachtung gegenüber kultischen religiösen Handschriften, gedruckten Büchern oder ihren einzelnen Blättern wie auch gegenüber Kultgeräten – auch wenn sie nicht mehr brauchbar waren – hüteten sich gesetzestreue Juden, diese einfach fortzuwerfen. Deshalb wurden diese Gegenstände Dinge in einem dafür vorgesehenen, geeigneten Raum verborgen, bis man die zerschlissenen Bücher und nicht mehr nutzbaren Kultgeräte an einer Ecke des jüdischen Friedhofes in einer besonderen Zeremonie beerdigte...In Deutschland sind aus einigen alten Synagogen, zum Beispiel in Hechingen und Veitshöchheim, Genisa-Sammlungen bekannt."[1]

 

Frowald Gil Hüttenmeister und Heinrich Kohring haben diese Überbleibsel genauer studiert. Sie fanden heraus, dass es sich um Überreste von Gebetbüchern für Männer in hebräischer Sprache und Gebetbücher für Frauen in Iwri-teitsch ("Judendeutsch") handelte. Es entwickelte sich, was dort bei jüngeren Funden ersichtlich wurde, immer mehr in Richtung Hochdeutsch. Außerdem handelte es sich um großformatige, hebräische Ausgaben solcher Gebetbücher für den Vorbeter, um Talmude, hebräische Bibeln, Erbauungsliteratur und jüdische Kalender für Viehhändler und Hausierer.[2] In der ständigen Ausstellung auf der ehemaligen Frauenempore sind einige Funde als Exponate zu sehen.

"Der Atem der Lebenden steigt auf zu den Blättern..."
"Der Atem der Lebenden steigt auf zu den Blättern..."

Berthold Auerbach, der in Hechingen auf die Talmudschule gegangen war, schrieb zu diesem Thema:

 

"Unter der Decke der Synagoge, da ist ein Speicher, und da liegen die Gebetbücher von hunderten und hunderten Jahren, und der Atem der Lebenden steigt auf zu den Blättern, worauf der Atem der Verstorbenen gehaucht war und manche Träne hineinfiel, und die Worte der Verstorbenen und der Lebenden gehen miteinander hinauf zu Gott".[3]

[1]Aus: „Was ich immer schon wissen wollte ...“. Glossar mit Begriffen des Judentums – von Rabbiner Dr. Joel Berger. - In: Zukunft - 12. Jahrgang Nr. 9 / 28. September 2012 | 12. Tischri 5773, zitiert nach: http://www.zentralratdjuden.de/de/article/3834.html

[2]Vgl. Frowald Hüttenmeister, Heinrich Kohring: "Funde aus der Hechinger 'Genisa'" - In: Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte 21 (1985), S. 215–234.

[3]Zitiert nach: Waldemar Luckscheiter, Manfred Stützle: Die Rettung der Alten Synagoge in Hechingen. Hechingen 2009, S. 68

Themen: Genisa, Synagoge Hechingen, Alte Synagoge Hechingen, Geschichte der Juden in Hechingen, inhaltlich verantwortlich/Text: Manuel Werner